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Spinaufgelöste Inverse Photoemission am Kobalteinkristall und an ultradünnen Kobaltschichten auf W(110)
Inauguraldisseration
zur Erlangung der Doktorwürde
des Fachbereichs Physik
der Freien Universität Berlin
Sven Bode
aus
Hamburg
Berlin den




ZUSAMMENFASSUNG

Spinaufgelöste Elektronenspektroskopien ermöglichen die experimentelle Untersuchung der austausch-aufgespaltenen Majoritäts- und Minoritätsbänder in Ferromagneten. Sie liefern wertvolle Beiträge zum Verständnis der magnetischen Eigenschaften von Festkörpern und deren Oberflächen. Unter Anwendung der kontrollierten Metallepitaxie konnte das Forschungsgebiet auf magnetische Systeme mit reduzierter Dimension erweitert werden. In der vorliegenden Arbeit wurde zum ersten Mal die unbesetzte elektronische Struktur von hcp-Kobalt mit spin- und winkelaufgelöster inverser Photoemission (IPE) untersucht. Als Systeme sind der Co(100)-Einkristall und die hcp-artigen Kobaltschichten auf W(110) gewählt worden. Dafür wurde eine longitudinale spinpolarisierte Elektronenquelle in Betrieb genommen und für die Metallepitaxie das UHV-System mit Effusionszellen und mit einem MEED-System ausgerüstet. Für die Kontrolle der Probenmagnetisierung wurde ein Kerraufbau für in situ-Messungen konstruiert. Durch die Entwicklung eines streufeldarmen Probenhalters für den Co(100)-Einkristall ist es erstmals möglich, spinaufgelöste Elektronen-Spektroskopie an diesem Einkristall durchzuführen. Die Magneto-Optische-Kerr-Mikroskopie belegt, daß durch diesen Probenhalter die remanente Magnetisierung entlang der c-Achse zu einem nahezu eindomänigen Zustand des Kristalls führt. Für das Co/W(110)-System ist es gelungen, durch die Kombination von MEED, LEED und konstanter Kobaltdampfrate, Schichtdicken mit Fehlern kleiner 0.1 Monolagen, bei gleichzeitiger Kontrolle des lagenweisen Wachstums, aufzudampfen.

Auf der Co(100)-Oberfläche konnten mit der spinaufgelösten IPE neben 3d-bandartigen Volumenzuständen auch Oberflächenzustände identifiziert werden. Es treten sowohl kristall- als auch bildkraftinduzierte Oberflächenzustände in der Bandlücke bei auf. Dadurch konnten erstmalig spinaufgelöste Oberflächenzustände am Brillouinzonenrand studiert werden. Für die bildkraftinduzierten Oberflächenzustände ist die vorhergesagte, aber bisher nie nachgewiesene, symmetriebedingte Verdoppelung der Bildkraftzustände gezeigt worden. Der energetische Abstand zwischen dem - und dem -Zustand ist ein Maß für das Oberflächenpotential, das fast freie Elektronen einige Ångström vor dem Festkörper ,,spüren``. Die starke Wechselwirkung der Elektronen in diesen Zuständen mit dem Oberfächenpotential führt zu Dispersionen, die nicht mehr im Rahmen des Multireflexionsmodells (MR-Modell) beschrieben werden können; dieses Modell war bisher für die qualitative Diskussion von Oberflächenzuständen ausreichend. Insbesondere für den fast dispersionslosen -Zustand gibt es im MR-Modell keine Erklärung.

Die spinaufgelösten Messungen der Bildkraftzustände zeigen die größten Austauschaufspaltungen, die für Bildkraftzustände je gemessen wurden ( und ). Ein Vergleich mit dem MR-Modell zeigt gute Übereinstimmung der Spinaufspaltungen für den kristallinduzierten Oberflächenzustand und den -Bildkraftzustand; wiederum kann der -Bildkraftzustand im Rahmen des Modells nicht beschrieben werden (). Aufgrund vergleichbarer Größe zwischen Spinaufspaltung und Lebensdauerbreite der Bildkraftzustände stellen diese ein fast freies Elektronengas mit hoher Spinpolarisation dar.

Neben den Bildkraftzuständen sind spinaufgespaltene, kristallinduzierte Oberflächenzustände am Brillouinzonenrand entdeckt worden. Die große Spinaufspaltung von zeigt deutlich, daß die Oberfläche magnetisch ,,aktiv`` ist. Zwischen den Dispersionen (relativen effektiven Massen) des Majoritäts- und Minoritäts-Oberflächenzustandes treten signifikante Unterschiede auf. Ursache hierfür ist der stärkere Oberflächenresonanz-Charakter des Minoritäts-Oberflächenzustandes, der zum Zonenzentrum hin in die projizierte Volumenbandstruktur dispergiert. Die doppelt so große Lebensdauerbreite des Minoritäts-Oberflächenzustandes kann qualitativ durch ein einfaches Modell, das die Anzahl der möglichen Zerfallskanäle in die spinabhängige Zustandsdichte berücksichtigt, erklärt werden.

Zusätzlich zu den Oberflächenzuständen treten in den spinaufgelösten IPE-Spektren mehrere Strukturen im Bereich der Majoritäts- und Minoritäts-d-Bänder auf. Mit Hilfe einer Polarisationsanalyse und den Dipolauswahlregeln konnten den Hauptemissionen im d-Bandbereich die R-Bänder aus der theoretischen Volumenbandstruktur zugeordnet werden. Ein Vergleich der kinematisch möglichen Übergänge aus der Bandstruktur mit der spinaufgelösten Dispersion zeigt nur qualitative Übereinstimmung. Für eine endgültige Zuordnung der Messungen sollen daher in Zusammenarbeit mit W. Wolf die Übergangsmatrixelemente berechnet werden.

Im zweiten Teil der Arbeit wurde erstmals die elektronische Struktur des Systems Co/W(110) schichtdickenabhängig mit der spinpolarisierten IPE untersucht. Als Voraussetzung für die Zuordnung zusätzlicher Übergänge zu einer entstehenden Kobaltbandstruktur wurde die Wolframbandstruktur untersucht. Im Vergleich mit den berechneten Übergangswahrscheinlichkeiten (J. Noffke) ist eine gute Übereinstimmung für die Volumenzustände gefunden worden. Ein weiterer Zustand ist als bildkraftinduzierter Oberflächenzustand in einer symmetriebedingten Bandlücke identifiziert worden. Seine Dispersion wird durch die d-artigen Bänder beeinflußt und führt zu einer erhöhten effektiven Masse von . Ebenfalls stark oberflächenartigen Charakter zeigt der Zustand direkt an der Fermikante bei . Die aufgewachsenen Kobaltfilme zeigen in der winkelaufgelösten IPE bei allen Schichtdicken (3,5,10 ML) einen fast dispersionslosen Zustand ca. oberhalb der Fermikante. Dieser Zustand ist fast bis zum Zonenrand nachweisbar. Durch spinaufgelöste Messungen wurde gezeigt, daß dieser Übergang zur Minoritätsbandstruktur gehört und bei dem obersten d-Band () der Volumenbandstruktur zugeordnet werden kann. Der zugehörige Majoritätszustand befindet sich unter der Fermikante, so daß man für die Spinaufspaltung eine untere Grenze von ca. 600 meV erhält. Der Minoritätszustand erreicht im gemessenen Schichtdickenbereich nicht die Energielage der -Bänder im Einkristall, was durch die Dehnung des Kobaltgitters erklärbar ist. Im Majoritätsspektrum bildet sich ein Grenzflächen-/Oberflächenzustand an der Fermikante aus. Seine Energielage nähert sich mit zunehmender Schichtdicke der Energielage des sp-artigen Oberflächenzustandes der Co(0001)-Einkristall-Oberfläche an. Damit wurde der erste experimentelle Hinweis auf den Spincharakter dieses Oberflächenzustandes auf der Co(0001)-Einkristall-Oberfläche geliefert. Für den Bildkraftzustand wurde eine große Spinaufspaltung von ermittelt, die nicht im Einklang mit der vorhergesagten Spinaufspaltung am Co(0001)-Einkristall steht. Ein erhöhtes magnetisches Moment der gedehnten Kobaltschichten als Ursache für diese große Spinaufspaltung ist daher nicht unwahrscheinlich.

Mit dieser Arbeit konnte gezeigt werden, daß die spinaufgelöste inverse Photoemission durch den Einsatz der longitudinal spinpolarisierten Elektronenquelle um eine wertvolle Variante erweitert wurde. Insbesondere die Ergebnisse am Brillouinzonenrand geben Anlaß zum Überdenken alter Konzepte (MR-Modell) und helfen vielleicht bei der Vervollständigung des Bildes des makroskopischen Quantenphänomenes Magnetismus aus ,,mikroskopischer`` Sicht weiter.




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Bode Sven
Wed Sep 3 11:00:17 MET DST 1997