Der Magnetismus ist bereits seit der Entdeckung des natürlich vorkommenden Magnetits in der kleinasiatischen Provinz Magnesia bekannt. Schon im 14. Jahrhundert v. Chr. haben die Chinesen magnetische Stoffe als Richtungsweiser (tschi-nan) verwendet . Im Zeitalter der Industrialisierung wuchsen die Bedeutung und Nutzung magnetischer Stoffe vor allem durch die Entwicklung der Elektromotoren. Einen weiteren ,,Quantensprung`` in der Verwendung magnetischer Materialien hat das Informationszeitalter eingeleitet. Fast jede Datenspeicherung geschieht heute auf magnetischen Medien, wie Computerfestplatten, DAT- und Videobändern. In den letzten Jahren hat eine rasante Entwicklung auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung stattgefunden. Immer größere Mengen an Daten werden immer schneller verarbeitet und gespeichert. Permanent wird versucht, die Informationsdichte der Datenspeicher zu erhöhen. Dies führt zwangsweise zu einer immer stärkeren Miniaturisierung der einzelnen magnetischen Informationsbits. Die Signalstärke pro Bit reduziert sich, und Effekte der Oberfläche/Grenzfläche des magnetischen Systems gewinnen immer mehr an Bedeutung. Ein Beispiel für die rasante Entwicklung auf dem Gebiet des Dünnschicht- und Oberflächenmagnetismus ist der ,,Giant-Magneto-Resistance-Effect`` (GMR). Nur knapp 10 Jahre sind zwischen der Entdeckung des GMR-Effektes in der Grundlagenforschung und den ersten kommerziell gefertigten Festplatten mit GMR-Lese- und Schreibköpfen vergangen.
Aber nicht nur unter technologischen, sondern auch unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten ist der Magnetismus von Oberflächen und dünnen Schichten ein wichtiges Forschungsgebiet. Aus makroskopischer Sicht werden die Eigenschaften von ferro-, ferri- und antiferromagnetischen Materialien relativ gut verstanden. Die mikroskopische Beschreibung des Magnetismus erweist sich dagegen immer wieder als unzureichend. Bis heute gibt es keine geschlossene Theorie des Magnetismus die in der Lage wäre, alle Phänomene zu beschreiben. Volumen-, Oberflächen- und Dünnschichtmagnetismus unterscheiden sich teilweise in ihren magnetischen Eigenschaften, haben jedoch denselben Ursprung. Deshalb ist ein detailliertes Wissen über die Oberflächen- und Dünnschichteffekte Voraussetzung für ein umfassendes Verständnis des Magnetismus.
Die Entwicklung einer mikroskopischen Beschreibung des Ferromagnetismus wird durch die Tatsache erschwert, daß es sich um ein kollektives Phänomen handelt. Im Festkörper entscheidet das Zusammenspiel zwischen der elektrostatischen Wechselwirkung und dem Pauliprinzip darüber, ob sich ein kollektiver magnetischer Ordnungszustand einstellt. Es bedarf daher einer Vielteilchentheorie zur Beschreibung des Magnetismus. Bei den klassischen 3d-Ferromagneten (Fe,Co,Ni) sind die 3d-Elektronen die Leitungsbandelektronen und gleichzeitig Träger des magnetischen Momentes. Ihre Beschreibung wird zusätzlich durch den Umstand erschwert, daß die Elektronen in den d-Bändern weder völlig delokalisiert sind wie die s-Elektronen, noch lokalisiert sind wie die f-Elektronen. Ein geeigneter Ansatz zur Beschreibung scheint das erweiterte Hubbard-Modell zu sein (siehe Kapitel 2, Abschnitt 2.2).
Mehrere theoretische und experimentelle Arbeiten zeigten, daß die Oberflächen von 3d-Ferromagneten magnetisch aktiv sind. Durch die Symmetriebrechung des Kristalls entstehen an der Oberfläche Zustände, deren Existenz im Volumen verboten sind. Diese Zustände stellen ideale Sonden für das Studium der magnetischen und elektronischen Eigenschaften der Festkörperoberfläche dar. Die Mehrzahl der Oberflächenzustände tritt im Bereich der unbesetzten Bandstruktur oberhalb der Fermienergie und unterhalb der Austrittsarbeit auf. Als Untersuchungsmethode für diese unbesetzten Zustände wird in dieser Arbeit die spinaufgelöste inverse Photoemission verwendet. Sie zeichnet sich durch eine hohe Oberflächenempfindlichkeit aus, da die Informationstiefe der inversen Photoemission auf wenige Atomlagen im Metall beschränkt ist (siehe Kapitel 2, Abschnitt 2.1).
Üblicherweise werden spinaufgelöste inverse Photoemissions-Untersuchungen mit transversal spinpolarisierten Elektronen durchgeführt. Für Systeme, deren Magnetisierung in der Ebene der Kristalloberfläche liegt, ist diese Methode für Messungen in der Umgebung des Hochsymmetriepunktes (Brillouinzonenzentrum) gut geeignet. Ein weiterer Hochsymmetriepunkt im Kristall ist der Rand der Brillouinzone. Schon in den Einführungsvorlesungen der Festkörperphysik werden die Besonderheiten des Brillouinzonenrandes vorgeführt (z.B. die Entstehung von Bandlücken). Deshalb wurde in dieser Arbeit eine longitudinal spinpolarisierte Elektronenquelle verwendet. Sie eignet sich im Besonderen für das Studium von Phänomenen am Brillouinzonenrand. Das Kapitel 3 gibt einen Überblick über den Aufbau des Experimentes und beschreibt dessen Besonderheiten.
Die ,,Fruchtfliege`` der spinaufgelösten inversen Photoemission ist der Nickeleinkristall; der Bandferromagnet mit dem kleinsten magnetischen Moment. Die zahlreichen Untersuchungen an Nickeleinkristallen haben großen Aufschluß über die elektronischen und magnetischen Eigenschaften von Oberflächen gegeben. Neben Nickel gibt es jedoch die stärkeren und technologisch relevanteren Bandferromagneten Kobalt und Eisen. Kapitel 5 dieser Arbeit beschäftigt sich daher mit Eigenschaften der Oberfläche des Kobalteinkristalls. Schwerpunkt der Untersuchungen sind die elektronischen und magnetischen Eigenschaften der Oberflächenzustände in der Nähe des Brillouinzonenrandes. Im Rahmen des einfachen, aber im allgemeinen sehr erfolgreichen Multireflexionsmodells, werden die Ergebnisse diskutiert (siehe Abschnitt 2.3 und Abschnitt 5.2.2).
Neben den Oberflächeneffekten an Einkristallen untersucht diese Arbeit im Kapitel 7 die Eigenschaften dünner ferromagnetischer Schichten an der Grenzfläche zum paramagnetischen Substrat. Theoretische und experimentelle Arbeiten zeigen, daß die magnetischen Eigenschaften dünner Filme wesentlich vom Präparationsverfahren und ganz empfindlich von der Schichtdicke abhängen. Die Untersuchungen in diesem Kapitel konzentrieren sich daher auf die schichtdicken- und spinabhängige elektronische Struktur der dünnen Kobaltfilme. Zuvor wird in Kapitel 6 die elektronische Struktur des Wolframsubstrates behandelt. Die Kenntnis der Substratbandstruktur ist Voraussetzung für gezielte Untersuchungen an ultradünnen Kobaltfilmen auf W(110).