Im vorherigen Abschnitt wurde gezeigt, daß durch die spinintegrierte Fitanalyse in Abbildung 5.19 die IPE-Spektren des Bildkraftzustandes gut beschrieben werden (). Es wird kein zwingender Hinweis auf eine vorhandene Spinaufspaltung der Zustände geliefert. Das spinaufgelöste IPE-Spektrum der Bildkraftzustände (Abb. 5.20) dagegen zeigt schon ohne Fit-Analyse, daß die Bildkraftzustände stark spinaufgespalten sind. Sowohl der - als auch der -Zustand haben eine Spinaufspaltung von der Größenordnung [BSR94]. Damit tragen diese Bildkraftzustände eine um eine Größenordnung höhere Spinaufspaltung als die bekannten Bildkraftaufspaltungen an den Nickeloberflächen [SED92, PaD92, BSR94]. Erst neuere Messungen an Fe/W(110) zeigen ebenfalls beträchtliche Spinaufspaltungen () [PDE95].
Abbildung: Spinaufgelöste IPE-Spektren der
Bildkraftzustände bei . Durchgezogene Linien zeigen den Simultanfit der Spektren. Nähere Erläuterungen befinden sich im Text.
Um die genaue Spinaufspaltung der Zustände zu ermitteln, wurde ein
Simultanfit im Least-Square-Verfahren mit gemeinsamen Parametern auf das
Majoritäts- und Minoritätsspektrum angewendet. Der Simultanfit
erzwingt, daß spinunabhängige Parameter in beiden Spektren gleichzeitig
variiert werden. Jedes Spektrum besteht aus zwei Lorentzlinien, die
spinabhängige Energiepositionen aber spinunabhängige
Lebensdauerbreiten
besitzen. Zusätzlich wurde ein bis auf einen konstanten Offset
spinunabhängiger linearer Untergrund mit
einem ,,stufenförmigen`` Anstieg an angenommen (vgl. Analyse des spinintegrierten
Spektrums aus Seite ).
Die Spektrometerauflösung wurde durch die Faltung mit einer Gaußfunktion bekannter
Breite berücksichtigt. Der
Offset im Untergrund berücksichtigt die größere Minoritätszustandsdichte oberhalb
, welche als Endzustand für inelastische Streuprozesse der
Elektronen dienen kann.
Im Prinzip wirkt sich dies auch auf die
Lebensdauerbreiten der Bildkraftzustände aus[PDE95].
Bei den kristallinduzierten Oberflächenzuständen führt dies zu
einer um den Faktor 2 verschiedenen Lebensdauerbreite.
Jedoch ist der Überlapp der Bildkraftzustände mit den Volumenzuständen
im Vergleich zum Überlapp kristallinduzierter Oberflächenzustände mit den Volumenzuständen
viel geringer,
so daß die spinabhängige Lebensdauerbreite hier nicht nachweisbar ist.
Die absolute Energielage der Intensitäten im Spektrum variiert um
, wenn der Untergrund bei
von einem ,,weichen`` zum ,,stufenförmigen`` Anstieg verändert wird. Die
relativen Energiepositionen verändern sich hingegen bei dieser
Untergrundvariation um weniger als .
Der beste Fit ist als durchgezogene Linie in die Spektren der Abbildung 5.20 eingezeichnet. Man erhält für den -Zustand eine Spinaufspaltung von und für den - Zustand den Wert . Diese Werte sind bis auf 1 % gleich der Austauschaufspaltung ( für ) am Brillouinzonenrand, da die Steigungen der Bildkraftzustandsdispersionen hier Null sind ().
Unter Verwendung der bekannten Auflösung des Spektrometers [GTR90] von erhält man für beide Zustände eine Obergrenze der intrinsischen Linienbreite von kleiner als . Sowohl die Austauschaufspaltung als auch die Lebensdauerbreite sind von gleicher Größe, so daß Elektronen, die in diesen fast-freien zweidimensionalen Zuständen eingefangen wurden, ein stark spinpolarisiertes Elektronengas bilden [BSR94, EcP90].
Abbildung 5.21: Schnittpunkte der Bildkraftphase mit der
Kristallphase nach Gleichung (2.31) bei .
Rechts im Bild sind die energetischen Lagen der spinaufgespaltenen,
oberen und unteren Bandkanten eingezeichnet. Weitere Erläuterungen im
Text.
Tabelle 5.4:
Gegenüberstellung der nach dem MR-Modell berechneten Werte mit den
experimentell gewonnen Daten. Als Energieposition ist die spinintegrierte
Energielage angegeben.
Im Abschnitt 5.2.2 wurde die Zuordnung der Zustände
innerhalb der Rydbergserie diskutiert. Anhand des Multireflexionsmodells
(MR-Modell) (siehe 2.3 , s. ) sollen an dieser Stelle die
erwarteten Spinaufspaltungen der Oberflächenzustände berechnet werden.
Die Abbildung 5.21 zeigt die graphischen Lösungen des
MR-Modells für die Energien der spinaufgespaltenen
Bildkraftzustände.
Aufgetragen ist die Kristallphase (durchgezogene bzw.
gestrichelte Kurve) in der Form ,
sowie die Bildkraftphase (gepunktete Kurve). Die Schnittpunkte zwischen den Kurven
lösen die Gl. (2.14) und
ergeben die Energielagen der Zustände. Zu jedem Zustand n= 0,1,2 gibt es einen
Satz von Schnittpunkten, bestehend aus der Energiepositionen des
Majoritäts- und Minoritätszustandes. Hier wird deutlich, daß im
Multireflexionsmodell die Spinaufspaltung der Zustände nur über die
Spinaufspaltung der oberen und unteren Bandkanten induziert wird. Die
Spinaufspaltungen der Bandkanten am Brillouinzonenrand sind den
theoretischen Rechnungen von Gu und Noffke entnommen [GuN92].
Tabelle 5.4 stellt den experimentellen Ergebnissen die Lösungen des MR-Modells gegenüber. Aufgrund der großen Spinaufspaltung der berechneten Bandkanten ( bzw. für obere bzw. untere Bandkante) kann die Bildkraftebene so gewählt werden, daß sowohl die spinintegrierte Energielage als auch die Spinaufspaltung des -Zustandes gut reproduziert werden. Auch die Energielage des -Zustandes wird durch das Modell gut wiedergegeben. Dagegen wird die Spinaufspaltung dieses Zustandes um mehr als einen Faktor zwei unterschätzt. Dies liegt zum Teil an der Behandlung des -Zustandes als einen intermediären Zustand zwischen dem mit keinem Knoten und dem -Zustand mit einem Knoten in der Wellenfunktion außerhalb des Kristalls (siehe Abschnitt 5.2.2). Damit wird aber der Überlapp mit der Volumenbandstruktur und somit auch die Spinaufspaltung unterschätzt. Die Tabelle 5.4 gibt auch Lösungen für den kristallinduzierten Oberflächenzustand () an. Im Gegensatz zu dem -Zustand wird die Energielage des kristallinduzierten Oberflächenzustandes nicht gut reproduziert. Hier macht sich der Einfluß der nahen Bandkanten und die Näherung des Zwei-Band-Modells bemerkbar. Trotzdem stimmt die theoretische Spinaufspaltung im Rahmen des Fehlers mit dem Experiment überein.
Aufwendigere Rechnungen mit der ,,Spin-Polarized Near-Surface Embedding``-Methode [NCI93, Nek95] berücksichtigen ein spinabhängiges Bildkraftpotential und zeigen für Fe(110) gute Übereinstimmung der Spinaufspaltung des n=1-Zustandes mit dem Experiment [PDE95]. Die Rechnungen für die Co()-Oberfläche nach diesem Verfahren stehen noch aus [Nek95].
Dagegen haben Braun und Borstel mit Hilfe der experimentellen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit [BrB95] Spektren im Einstufenmodell berechnet. Die Parameter des spinabhängigen Oberflächenpotentials wurden durch die experimentellen Daten optimiert. Die theoretischen Spektren zeigen bei gleicher Nachweisgeometrie eine gute Übereinstimmung mit dem Experiment sowohl in der Spinaufspaltung () als auch in . In Normalemission ergeben die berechneten IPE-Spektren eine Spinaufspaltung von . Die Reduzierung der Aufspaltung wird mit der spinabhängigen effektiven Masse erklärt [BoT88].