Ummagnetisierung dünner Ni/Cu(100)-Filme untersucht mit MOKE und UHV-Kerr-Mikroskopie

Vortrag bei der DPG-Frühjahrstagung 1998

Im folgenden werde ich über Ergebnisse berichten, die zum Teil noch aus meiner Doktorarbeit stammen, in der ich eine Aperatur für UHV-Kerr-Mikroskopie mit kombiniertem STM und magneto-optischem Kerr-Effekt (MOKE) aufgebaut habe.
Dieses Beispiel hier zeigt ein Multidomänen-Bild, das während des Ummagnetisierens mittels Kerr-Mikroskopie aufgenommen wurde. Die entsprechende Hysterese-Kurve ist hier gelb eingezeichnet.
Aus Platzgründen verzichte ich hier auf die experimentelle Beschreibung. Die folgenden dynamischen Messungen der Ummagnetisierung sind von grundlegender Bedeutung im Bereich magnetischer Speichertechnologie.

Die magnetischer Eigenschaften des Systemes Ni/Cu(100) sind in dieser Auftragung kurz zusammengefaßt, die ich aus einer Veröffentlichung von Baberschke und Farle gestohlen habe. Bei Raumtemperatur liegt die leichte Magnetisierungsrichtung bis zu etwa 7 ML in der Filmebene und klappt dann wegen der magneto-elastischen Anisotropie aus der Filmebene heraus. Diese senkrechte Anisotropie bleibt bis zu einer Schichtdicke von etwa 30 ML erhalten. Erst bei dieser Schichtdicke relaxiert der Film und die Formanisotropie zwingt die leichte Richtung in die Filmebene.
Im folgenden beschränke ich mich auf das Ummagnetisierungsverhalten bei etwa 15 ML, also im technologisch besonders interessanten Bereich senkrechter Magnetisierung.

Folglich mißt man mit polarem magneto-optischen Kerr-Effekt, also bei senkrechtem äußerem Magnetfeld, rechteckige Hysterese-Kurven mit 100%iger Remanenz. Bei 15 ML liegt die Koerzitivfeldstärke, also die halbe Breite der Hysterese-Kurve bei etwa 12.5 Oe. Bei der Aufnahme von Hysterese-Kurven wird bekannterweise die Magnetisierung in Abhängigkeit vom äußeren Magnetfeld gemessen, Hierfür wird jeweils das äußere Feld H eigestellt und nach einer festvorgegebenen Zeit das MOKE-Signal, welches proportional zu M ist, gemessen. Insofern handelt es sich also um eine statische Messung.
Bei dynamischen Messungen hingegen wird die Zeitabhängigkeit der Magnetisierung gemessen, also für jeweils ein festvorgegebenes Magnetfeld die Magnetisierung in Abhängigkeit von der Zeit gemessen. Hierfür wird zuerst ein Startfeld H1 eingestellt, um die Probe remanent in eine Richtung zu sättigen. Zum Zeitpunkt t=0 erfolgt die Ummagnetisierung mit einem Gegenfeld H2, welches üblicherweise kleiner als das Koerzitivfeld ist. Man stellt fest, daß bereits geringere Felder als HC ausreichen, um die Probe in endlicher Zeit nahezu vollständig umzumagnetisieren.
Nach einem klassischen Modell von Fatuzzo, das bis heute seine Gültigkeit immer wieder gezeigt hat, erwartet man bei einer Ummagnetisierung, die durch Nukleation vieler entgegengesetzt magnetisierter Domänen und ihrem anschließenden Wachstum durch Wandverschiebung bestimmt wird, eine exponentielle Zeitabhängigkeit der Magnetisierung. Die Ummagnetisierungszeit t wiederum hängt von der Aktivierungsenergie EA eines Barkhausen-Sprunges mit dem Volumen VB und dem entsprenden äußerene Feld H2 ab.
Im vorliegenden Fall erhalten wir jedoch eine Ummagnetisierungskurve, die eindeutig nicht exponentiell abfällt. Die Form der Kurven ist dabei jeweils identisch. Es ergeben sich aus diesen Messungen zwei Fragestellungen:
1. Woher kommt der „Buckel“?
2. Wieso kein exponentieller Abfall?

Darüberhinaus ergibt sich eine weitere Überraschung, wenn man das Startfeld H1 variiert. Bei den eben gezeigten Kurven war das Startfeld zur Sättigung der Magnetisierung 40 mal so groß wie das statische Koerzitivfeld HC. Dann bewirkt ein Gegenfeld H2 von 60% des Koerzitivfeldes keine sofortige Ummagnetisierung. Beträgt das Startfeld jedoch nur das 1.4-fache von HC, so erwartet man nach den MOKE-Messungen ebenfalls eine vollständig gesättigte Probe, mißt jedoch beim gleich großen Gegenfeld bereits eine sekundenschnelle Ummagnetisierung. Dieses Verhalten ist unerklärlich, da die Ummagnetisierungszeit nicht vom Startfeld sondern nur vom Gegenfeld abhängt.
Zudem sieht man hier deutlich einen exponentielle Abhängigkeit der Magnetisierung von der Zeit. Es ergibt sich also die Frage:
Was ist hier anders?

Um diese Frage beantworten zu können, muß man Einzelheiten über den Ummagnetisierungsprozeß kennen. Hierfür haben wir an derselben Probe ortsaufgelöste Ummagnetisierungsmessungen mit Hilfe des in-situ verfügbaren Kerr-Mikroskopes durchgeführt.

Auch diese Messungen sind in polarer Geometrie enstanden, so daß sich ein Domänenkontrast von hell und dunkel für in die und aus der Filmebene heraus magnetisierte Bereiche ergibt. Die Ummagnetisierung erfolgt im wesentlichen durch Verschiebung einer einzelnen Domänenwand. Diese Wand wird an verschiedenen Substratdefekten gepinnt. Die Vorzugsrichtung der Domänenwand entspricht den {110}-Richtungen des Ni-Filmes. Hierbei handelt es sich um die leichte Richtung bei in-plane magnetisierten Filmen. Da innerhalb der Domänenwand die Magnetisierung durch die Filmebene dreht, stellt sich als Wandrichtung die innerhalb der Ebene bevorzugte Richtung ein.
Die Wand verschiebt sich bei nahezu konstanten Feld über das Gesichtsfeld des Mikroskopes, bis bei einem Gegenfeld von etwa der Koerzitivfeldstärke offensichtlich der gesamte Film ummagnetisiert ist. Vor Aufnahme dieser Bilder wurde der Film mit einem Startfeld vom 40fachen des Koerzitivfeldes gesättigt.
Magnetisiert an die Probe jedoch ausgehend von diesem Bild wieder zurück, so ergibt sich ein völlig anderes Bild...

Bereits bei wesentlich kleineren Feldern H2 „reißt“ der vorher scheinbar eindomänige Zustand auf. Diese Risse werden rasch breiter, bis sich wieder die charakteristischen Domänenwand-Vorzugsrichtungen ausbilden.
Was ist die Ursache für dieses erstaunliche Verhalten? Eine genaue Untersuchung ergibt, das die Startpunkte dieser „Risse“ oder „Kanäle“ jedes Mal wieder dieselben sind und mit Pinningcentern bei der Ummagnetisierung übereinstimmen. Diese Pinningcenter verhindern die Weiterbewegung der Domänenwand.
Unser mikroskopisches Verständnis ist auf der nächsten Folie skizziert...

In dem Modell verschiebt sich eine einzelne Domänenwand von links nach rechts. Die Wand trennt Bereiche, die entgegengesetzt magnetisiert sind. An einem Substratdefekt wird die Wand an ihrer Ausbreitung gehindert (gepinnt). Seitlich des Defektes schreitet die Domänenwand voran. Da die entgegengesetzte Magnetisierungsrichtung energetisch günstiger ist, sollte sich die Wand hinter dem Defekt wieder schließen. Genau dies kann jedoch nicht passieren, da sich die doppelte Domänenwand nicht auflösen kann. Innerhalb jeder Bloch-Wand dreht die Magnetisierung durch die Filmebene hindurch. Da die Doppelwand durch Pinning enstanden ist, ergibt sich eine vollständige 360o-Drehung der Magnetisierung.
Die Breite dieser Struktur muß dabei unter der Auflösung des Mikroskopes von 2 mm liegen, da die Kanäle sonst direkt in der Ummagnetisierungsserie gesehen werden würden. Erhöht man das äußere Feld hinreichend (z.B. auf 40 mal HC), so löst sich die Doppelwand vermutlich durch Überwindung des Pinningcenters von hinter auf.
Im anderen Fall sind die gefangenen Domänenwände noch vorhanden und bei Anlegen eines kleinen Gegenfeldes liegen bereits Bereiche mit entgegengesetzter Magnetisierung vor, also Kanal-artige Nukleation. Diese sind energetisch günstiger und breiten sich aus, was zu einer Verbreiterung der Kanäle führt. Dadurch sind sie im Kerr-Mikroskop zu sehen.
Als erstes Ergebnis können wir also festhalten, daß wir im Fall eines kleinen Startfeldes eine nahezu instantane Ummagnetisierung mit exponentiellem Abfall beobachten, da viele Nukleationskeine vorliegen und somit die Voraussetzungen für das Fatuzzo-Modell gegeben sind.
Auch das Verhalten bei großem Startfeld ist nun verständlich...

Die Ummagnetisierung erfolgt durch Nukleation einer oder weniger Domänen und anschließender Wandverschiebung. Dabei liegt der Nukleationskeim außerhalb des Gesichtsfeldes von MOKE und Kerr-Mikroskopie. Bei konstante Wandgeschwindigkeit und rundem Gesichtsfeld ergibt sich die gezeigte theoretische Ummagnetisierungskurve, die qualitativ sehr schön mit der gemessenen übereinstimmt.
Die Nukleation erfolgt jeweils an derselben Position. Die Geschwindigkeit der Wandverschiebung bestimmt die Ummagnetisierungszeit t, die wiederum exponentiell vom Gegenfeld H2 abhängt. In logarithmischer Auftragung erkennt man sehr schön die Übereinstimmung zwischen Experiment und Theorie in der abfallenden Geraden. Aus der Steigung dieser Geraden kann man das mittlere Volumen jedes elementaren Barkhausen-Sprunges berechnen. Oder, bei Annahme eines quadratischen Ummagnetisierungsbereiches, eine Barkhausen-Länge von etwa 270 nm.
Ein Vergleich mit der Morphologie dieser Filme legt einen Schluß für die Ursache dieser Barkhausen-Länge nahe...

Die Topographie der Ni-Filme ist sehr rauh mit Strukturgrößen von wenigen 10 nm. Dagegen liegt die Stufenbreite des Cu(100)- Substrates mit mehreren hundert nm genau in der Größenordnung der berechneten Barkhausen-Länge. Ein Fit der Abfallkonstanten der Magnetisierungskurve bei kleinem Startfeld (exponentieller Abfall) ermöglicht bei Kenntnis des Barkhausen-Volumens die Bestimmung der Aktivierungsenergie. Sie liegt im Bereich von einem eV und beträgt somit einige Prozent der Domänenwandenergie einer Wand der Barkhausen-Länge. Da die Domänenwandenergie linear mit der Schichtdicke ansteigt, erscheint es plausibel, daß ein Hemmnis jeden Barkhausen-Sprung durch veränderte Schichtdicken an Substratstufen hervorgerufen wird.